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Andreas Birkigt, 1993

NEUES DEUTSCHLAND & dpa/sn
FREIE PRESSE (Leipzig)


WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE: 2.Juni 1993
Stockhausens "Dienstag aus Licht" in Leipzigs Oper

Von Michael Stenger

Die Leipziger Oper feiert aufwendig ihren 300. Geburtstag. Und der Anlaß rechtfertigt die Mittel. Karlheinz Stockhausen, einst der avantgardistische Gipfelstürmer und heute dem Kosmos sendungsbewußt verbunden, durfte erstmals in Deutschland einen Teil seines Riesenwerkes "Licht" herausbringen. "Montag", "Donnerstag" und "Samstag" aus "Licht" hatten bereits an der Mailänder Scala Premiere. Der "Dienstag", als Tag des Konfliktes, des geistigen und psychischen Krieges angekündigt, ist nun eine Koproduktion mit der Scala und dem WDR. Bis um das Jahr 2002 sollen die Wochentage tönende 24 Stunden lang Stockhausen-Wirklichkeit werden.

Stockhausen ist zweifellos ein Visionär. Die Idee, die sich hinter dem "Licht"-Zyklus verbirgt, ist komplex. Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: Mit dem "Dienstags-Gruß" ("allen Berserkern gewidmet") geht's in die Schlacht. Auf zwei Emporen stehen sich die vorzuglichen Chore des guten Michaels und des bösen Luzifers gegenüber.
Der erste Akt fuhrt zum "Jahreslauf", der im Widerstreit von Michael (Julian Pike) und Luzifer (Nicholas Isherwood) gebremst werden soll. Henryk Tomaszewskis Pantomimen symbolisieren die Jahreszahlen. Eine nackte Schöne, ein Koch oder ein Affe im Auto sollen die Fortschreitenden stimulieren. Die Zeit darf aber nicht verharren. Der zweite Akt bringt "Invasion - Explosion und Abschied" Die Gegner liefern sich im ganzen Parkett eine musikalische Schlacht. Alles endet mit dem Auftritt Synthi-Fous, der wie der schrille Elton John allein dem Synthesizer sein Leben weiht.
Auch wenn das Programmheft den Warschauer Pantomimen Tomaszewski, den Regisseur Uwe Wand und den Ausstatter Johannes Cohen als Macher nennt - Stockhausenselbst fuhrt das Ruder. Er hat das Theater erobert und schafft im symbolträchtigen Ambiente (Weltenkugel, Fließband mit Panzern, Flugkörper, Farben) eine Art Krieg der Sterne. Seine Realisation benotigt vor allem Raum. Die Ränge können in Leipzig nicht genutzt werden: Das elektronische Gewitter würde die da oben nicht erreichen.
Vieles, was klug gedacht ist, wirkt naiv, freilich dadurch

Adam Hiller auf der Jagd

unmittelbar und wirksam. Stockhausens Kunst - er spricht vom musikgenetischen Code seiner Figuren - manifestiert sich im virtuosen Umgang mit elektronischen Mitteln, die im zweiten Akt fast zum Selbstzweck werden, aber in ihrer Differenzierung eine ungewöhnliche Tiefendimension schaffen. Raum und Zeit scheinen sich im Klang aufzuheben.
Die fetzenden Kämpfe der fabelhaften Blechblaser wirken rasch ermüdend Simon Stockhausens Synthesizer-Orgie am Schluß streift die Grenze von Kunst und Kitsch. Zum Höhepunkt gerat im zweiten Akt das ausgesponnene Duett von Frau (Annette Meriweather) und Flügelhorn (Markus Stockhausen). Es ist eine meditative, wunderschön schwebende Pietà-Huldigung.
Als alles vorüber war, rief eine einzelne Stimme "So ein Käse". Das kann man nicht sagen. Stockhausen beschreitet messianisch seinen eigener Weg. So nah und doch so fern.
Im Kellertheater erinnern die Leipziger an den erster Gewandhauskapellmeister, der spater Thomaskantor wurde: Johann Adam Hillers komische Oper "Die Jagd" (1771), in einer neuen Fassung deftig und ironisch aufgemotzt. Es geht um eine traute Gesellschaft im Walde, die durch blaublutige Schürzenjäger aus ihrem dümmlichen Gleichgewicht gebracht wird. Hillers Musik, von den "Partisanen der galanten Musik" unter Julien Sadi Salemkour auf historischen Instrumenten gemeistert, ist liebenswert wenn auch eher harmlos. Der Regisseur Olaf Sigurd Brühl hat beim Puppenspiel Inspiration gesucht Er laßt kalauern und entwirft ein überdrehtes Spiel. Eine Ehrenrettung? Wohl kaum. Dafür Unterhaltung der kurzweiligen Art.

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FREIE PRESSE (Leipzig): 26.Mai 1993
EIN SCHUSS NICHT NUR IN KÖNIGS HOSE
Fragwürdige Behandlung eines Hiller-Singspiels in Leipzig

Von unserem Mitarbeiter Karl-Heinz Löbner

In das Programm der Festwochen 300 Jahre Oper Leipzig wurde ein deutsches Singspiel des Komponisten Johann Adam Hiller aufgenommen. Hiller, der von 1728 bis 1804 lebte, hatte einst an der Universität Leipzig studiert, wirkte als Flötist und Sänger im Leipziger, "Großen Konzert" mit und gründete daselbst die sogenannten "Liebhaberkonzerte". Von 1789 bis 1801 war er Thomaskantor zu Leipzig.
Das Singspiel entwickelte sich im Unterschied zur höfischen Oper zu einer selbständigen Gattung innerhalb der Kultur des deutschen Bürgertums. Den in der Bühnenhandlung vertretenen volkstümlichen Figuren wurden bevorzugt Liedtypen zugeordnet, den aristokratischen im Unterschied dazu Arienformen. Zu Hillers Hauptwerken, von Lortzing und Wagner hoch geschätzt, gehört das Singspiel "Die Jagd", das, ein Zufall der Musikgeschichte, im Geburtsjahr Beethovens entstand.
Nun hatte "Die Jagd oder ,Halt's Maul'", eine "comische Oper in drey Acten" in einer Leipziger Textfassung nach dem Original des damals bekannten Singspieldichters Christian Felix Weisse im Kellertheater Premiere, einesteils als Reverenz vor dem Komponisten Johann Adam Hiller, andererseits als Versuch, Singspiele dieser Art auf heutige Bühnenfähigkeit zu testen.
Der Dirigent der Aufführung, Julien Sadi Salemkour, hatte eigens dafür ein Instrumentalensemble mit dem verwegenen Namen Les Partisans de la Musique Galante zusam- mengestellt, das auf historischen Instrumenten begleitete. Das ergab einen erbaulichen klanglichen Reiz, aber noch kein perfektes Spiel, namentlich bei den Hörnern.
Die Inszenierung besorgte Olaf Sigurd Brühl mit dramaturgischen Veränderungen, Umstellung von Musiknummern und vor allem mit neugeschriebenen Dialogen. Das sprachliche Ergebnis ist wahrlich kein Wurf, und die hinzugefügten nonsenshaften Knittelverse sind schlechthin überflüssig.
Die Handlung folgt dem Muster vieler Singspiele jener Zeit. Hier nun suchen, finden und vereinen sich zwei junge Paare gegen den Willen der Eltern. Adlige Herren stören als Ver- und Entführer, denn sie jagen nicht nur die Tiere des Waldes, sondern auch adrette, brave und sinnenfrohe Bauernmädchen.
Wenn der König auf der Jagd als Wilddieb verkannt wird und deshalb vom Dorfrichter einen gezielten Schuß ins Hinterteil abkriegt, dann ist das allemal Episode mit tieferer Bedeutung.
Anfangs war man der Einstudierung geneigt. Vogelstimmen sowie Tierbilder und -masken stimmen auf eine scheinbare Idylle ein. Die Dialoge wurden in leichtem Anflug von Heiterkeit und Humor, Groteske und Karikatur szenisch umgesetzt. Doch die Spielideen erschöpften sich schnell, bis der Regisseur leider den Darstellern eine verfälschte, schmierige Schlußlösung aufzwang und damit die Charaktere bösartig entstellte. Ehrbare, aufmüpfige Bauern- und Bürgersleute lassen sich von reichen Standespersonen schäbig mißbrauchen. Dieses erfundene Finale widerspricht gravierend dem geistigen Wesen des von aufklärerischen Ideen beeinflußten deutschen Singspiels.
Eingezwängt in dieses Regiekonzept, boten immerhin alle Sängerdarsteller achtbare Leistungen, unter ihnen Hans-Dirk Mundt, Ruth Asmus, Martin Petzold und Romelia Lichtenstein als Familie des Dorfrichters, Andreas Scholz und Adelheid Vogel als Partner der jungen Leute sowie Achim Wichert (König) und Jürgen Müller. Bleibt als erfreulicher Nachtrag, daß Erwin Heribert Bode mit Phantasie die Gestaltung des Bühnenraumes und den Entwurf der Kostüme übernommen hatte.

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dpa/sn & NEUES DEUTSCHLAND: 25.Mai 1993
Hillers JAGD in Leipzig
Von RW

Die Oper Leipzig besinnt sich auf ihre Tradition. Die Premiere der komischen Oper "Die Jagd oder Halt´s Maul" des Leipziger Komponisten und Thomaskantors Johann Adam Hiller aus dem Jahre 1771 wurde am Sonntagabend vom Publikum im Kellertheater sehr angetan aufgenommen.
Hillers Stück, das fast 100 Jahre lang im deutschen Sprachraum einen riesigen Erfolg hatte, geht mit adligen Wilddieben moralisierend ins Gericht. Im 18.Jahrhundert war das Thema nicht ohne politische Brisanz, wurde doch in Sachsen etwa 20 Jahre nach der Uraufführung ein Aufstand der Bauern gegen das Jagdunwesen des Adels nlutig niedergeschlagen.
Die Inszenierung des Singspiels von Olaf Sigurd Brühl versteht es, den recht fremden Stoff dem heutigen Zuschauer auf unterhaltsam-anmutige Weise nahezubringen und Brücken zu schlagen zwischen Hillers und unserer Welt. Dazu trug sicherlich auch die vorsichtig modernisierende Leipziger Textfassung nach dem Original von Christian Felix Weisse bei.
Unter der Leitung von Julien Sadi Salemkour musizierte das Ensemble "Les Partisans de la Musique Galante". Die Künstler aus Leipzig und Berlin spielten auf historischen Instrumenten das leicht gekürzte und ergänzte musikalische Original.


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olaf brühl