Fotos: Ralph Bergel
© 1995

DIE KLUGE / 1995
von Carl Orff (1943)


Auswahl Kritiken:
Katharina Katz, NORDHÄUSER ZEITUNG
Bernd Hoppe, ORPHEUS
Dr. Ursula Mielke, THÜRINGER ALLGEMEINE


Orffs Oper DIE KLUGE hatte Premiere mit dem KAISERWALZERBALLETT (Schönberg & Webern/Bach)


NORDHÄUSER ZEITUNG: 14.März 1995
STILISIERT UND KONTROLLIERT BIS IN DIE KLEINSTE GESTE
Ein gelungenes Debüt in Nordhausen schaffte der junge Regisseur Olaf Brühl mit seiner Inszenierung von Carl Orffs DIE KLUGE.

Von Katharina Katz

Am Wochenende präsentierte der von Nix für die kommende Spielzeit als fester Regisseur engagierte Olaf Brühl seine erste Arbeit für Nordhausen. Mit Carl Orffs DIE KLUGE hat sich der junge Thüringer (geb. 1957) gewiß nicht das einfachste Debüt gewählt. In Orffs Märchenoper gehen Volkstümlichkeit und Intellektualität eine harmonische Beziehung ein, sowohl in musikalischer wie auch in dramaturgischer Sicht. Das kanonisierte Sprechen, rhythmischer Sprechgesang und melodisches Singen täuschen eine Einfachheit vor, deren Wirkung aber auf größter stimmlicher wie gestischer Präzision beruht.
Die Geschichte von der klugen Bauerstochter, die dem König und der gesamten männlich-aggressiv geprägten Gesellschaft ein an Gerechtigkeit und Freiheit orientiertes Gesellschaftsbild gegenüberstellt, wird von Brühl nicht dem freien, scherzhaften Spiel überlassen. Stilisiert und bis in die kleinste Geste kontrolliert, treten die Figuren auf.

Maskenhaft und stumm

Mit großer Disziplin hält sich das Ensemble an diese Vorgabe. Am deutlichsten wird diese Konsequenz an Brigitte Roth, die sich als Frau zwischen den drei Männerebenen, König, Bauern und Schurken bewegt. Maskenhaft und stumm setzt sie den Kontrapunkt zur gewaltherrlichen Männerwelt. Durch den Kontrast umso wirkungsvoller kommen ihre harmonisch, anrührenden Gesangspartien zur Geltung.
Ungleich schwerer stellt sich die Aufgabe des jederzeit beherrschten, reglementierten Spiels für die drei Strolche dar. Denn sie sollen bei aller Stilisierung doch pulsierendes Leben in die Handlung bringen. Doch gerade der Verzicht auf "action" und schnelle Lacher erzielt die intensive Wirkung dieser Aufführung. Mit einem bereits beachtlich ausgereiften Baß und einem gleichfalls stark konturierten Spiel ließ Peter Schulz als einer der Strolche aufhorchen. Jürgen-Dietmar Kühn bewies neben seiner stimmlichen Sicherheit überraschendes gymnastisches Talent. (...)
Ähnlich sicher und gut aufgelegt präsentierte MD Karl Heinz Richter das LOH-Orchester Sondershausen.
Zusammen mit dem Regisseur kam Annette Riedel neu nach Nordhausen. Mit ihrer spannenden Guckkastenbühne, die das Künstliche des Stückes wirkungsvoll verstärkte, und den ausdrucksvollen Kostümen ist ihr ein respektabler Einstieg geglückt.
Mit einem inszenatorischen Clou entließ Brühl das Publikum mit einer kleinen Rätselaufgabe. Das märchenhaft versöhnliche Ende schien ihm offenbar nicht akzeptabel. Und so verlegte er es, raffiniert durch Sterbeszene und filmische Projektion eingefädelt, in eine andere Welt. Und damit nahm er die Kluge beim Wort, wenn auch mit neuer Akzentuierung, denn: »Klug sein und lieben kann kein Mensch auf DIESER Welt.«

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Bauer: Bernd Unger

orpheus / Mai 1995

Eine streitbare Inszenierung von Orffs Stück DIE KLUGE brachte das Theater Nordhausen in der Regie von Olaf Brühl heraus, der das glückliche Ende der »Geschichte vom König und der klugen Frau« hinterfragte und damit für kontroverse Publikumsmeinungen sorgte. Glänzende Leistungen gab es im Solistenensemble: Brigitte Roth sang mit reizvoll timbriertem Sopran die Titelpartie, Uwe Oppermann den Kerkermeister, Wolfgang Lambertz den König und Kurt Zuber den Mauleselmann. Den Drei Strolchen (unser Foto/Bergel: Thomas Kohl/Jürgen-Dietmar Kühn/Peter Schulz) gehörte dank ihrer hervorragenden Stimmen die besondere Sympathie des Publikums. Karl Heinz Richter dirigierte die Aufführung, der ein Prolog KAISERWALZERBALLETT mit Musik von Arnold Schönberg, Johann Strauß/Sohn und Johann Sebastian Bach vorausging. Die Choreographie zu diesem Ballett schuf Stefan Haufe, basierend auf einem Konzept von Olaf Brühl, der darin Aggressionen, Gefühlskälte und Egoismus in einer Männerwelt kritisch darstellt. Juan Jose Arrieta Anza, Nicholas Cass-Beggs, Stefan Haufe, Marek Heinemann, Ivo Pejtschev und Jean-Christoph Simon waren die sich engagiert einbringenden Tänzer.

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THÜRINGER ALLGEMEINE: 13. März 1995
DAS GEHEIMNIS DER EINFACHHEIT
Theater Nordhausen mit beeindruckender Premiere von DIE KLUGE

Von Dr. Ursula Mielke

Seit der Wochenend-Premiere am Theater Nordhausen darf man dem Werbeslogan des Hauses »Wir spielen eine Rolle« verstärkt Bedeutung beimessen, denn der einstmals zum unerwünschten Stück erklärten und 1943 in Frankfurt am Main uraufgeführten Oper DIE KLUGE von Carl Orff wurde mit Wachsamkeit und Feinarbeit begegnet. Entgegen touristischen Spektakeln zur Würdigung des 100. Geburtstages des Komponisten andernorts in diesem Jahr, spürten die Nordhäuser dem zeitkritischen Geist, dem Vorgang der »umgekehrten Perspektive« nach und entdeckten dabei das Geheimnis der Einfachheit der Orffschen Musiksprache, deren geradlinige Entwicklungen samt Hintersinn neu.
Im Ergebnis wartet eine höchst willkommene, brauchbare Zeitkritik auf den Besucher, eine, die ihm mehr zu bieten hat als »Wer klug ist wählt Betrug und List, weil anders nichts zu holen ist.«. Die Enträtselung des Werkes beginnt mit dem Bühnenvorhang, einer kunstvollen Patchwork-Arbeit. Nichts ward da zusammengeschustert, sondern mit feiner, teils sogar heißer Nadel gestickt - und am Ende paßt und gehört alles zusammen. Dem gebürtigen Gothaer Olaf Brühl (u.a. Assistent bei Ruth Berghaus) gelang in Einheit mit Annette Riedel (Ausstattung) und Antje Kaiser (Dramaturgie) ein Stück überzeugendes Welttheater in der kleinen Welt des Theaters: lustvoll, farbenfroh, sinnlich und wie auf dem Schachbrett Zug um Zug mit teilweise filmischer Präzision durchdacht. Alle Akteure wußten um den Wert dieser Ganzheit, niemand wollte sie bedrohen. Das Loh-Orchester unter Karl Heinz Richter spielte licht- und stimmendurchlässig. Die Sänger profitierten von dem transparenten Orchesterangebot und disponierten Text und Melos klar und klug.

Struktur statt Politur

Olaf Brühls Regie aber ließ sie noch mehr vom Gesamtkunstwerk Oper wie vom einzelnen Typus freisetzen - Körpersprache der Partitur, gestylt am Stil der Musik. Und das in jeder Situation: von des Königs erstem Auftritt in seiner mit Brandflecken umrandeten Waffenkammer, vom schüchternen Spiel der Bauerntochter am Aquarium bis hin zur sternbeglänzten Schlußvision, dem Krieg der Sterne auf Erden, endend im endlosen Kräftemessen von Weib und Mann am Küchentisch.
Struktur statt Politur lautete wohl das Gesangsthema. Der König (Wolfgang Lambertz) artikulierte pointiert, der Bauer (Bernd Unger) erzählte deutlich von seinem seltsamen Fund. In der Rolle seiner Tochter erwarb sich Brigitte Roth, gehüllt in den Mantel zarter stimmlicher Liebenswürdigkeit, die Sympathien empfindsamer Seelen.
Esel- und Mauleselmann (Werner Schwarz und Kurt Zuber) handelten sicher im dunklen Register ihrer tierischen Betrügerein. Das Trio der Strolche, bestehend aus Jürgen-Dietmar Kühn, Thomas Kohl und Peter Schulz, wurde der darstellerische Knüller, weil von kecker Lust an munteren Streichen getragen.
Vor der Lehre der »Klugen«, vor dem weisen Sprüchlein »Klugsein und lieben kann kein Mensch auf dieser Welt« stellte das Theater Nordhausen ein kurzes Ballettspiel, das wie die Oper Redaktion und Leserschaft der eingegangenen Frauenzeitschrift SIBYLLE gewidmet war. Tanz-Trauer-Spiel: Sechs Tänzer bewegten sich in einer Welt ohne Frauen zur KAISERWALZER-Bearbeitung von Arnold Schönberg und zur sechsstimmigen Fuge aus dem Bachschen MUSIKALISCHES OPFER, orchestriert von Anton Webern. Der Walzer in Unterhosen und Stiefeln mit vielen musiklosen Sequenzen, blieb zwischen Eleganzversuchen und unmotivierten Beleuchtungsvarianten hängen, glich muskelprotzendem Ringen. Wer den Schrei; aus tiefster Not tanz ich zu dir, Weib, nicht vernahm, mußte auf die Protest-Choreographie mit Buhrufen reagieren. Im Leben wie auf den Brettern: Buhmännern geht immer etwas spät ein Licht auf.

siehe auch zu Rossinis LA CENERENTOLA (1995): Rundfunk-Sendung und Kritiken von Georg-Friedrich Kühn

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olaf brühl