Finale I
Fotos: Thomas Ammerpohl © 1997

DIE ZAUBERFLÖTE / 1997

Eine deutsche Oper von Mozart & Schikaneder / 1791


Interview
Kritiken:

Michael Schäfer
Joachim Lange
Rolf Heckelsbruch

Foto:
Thomas Ammerpohl

GÖTTINGER TAGEBLATT, 10.Februar 1997
EIN BÖSES MÄRCHEN
Von Michael Schäfer


Wie denn - Tamino nimmt seine Pamina nicht in die Arme? Kein mildlächelnder Sarastro, der die Liebenden zusammenführt? Was fällt diesen modernen Opernregisseuren bloß ein?
Olaf Brühl, der Mozarts "Zauberflöte" in Braunschweig inszeniert hat, mußte sich denn auch etliche Buhrufe gefallen lassen, als er sich bei der Premiere am Sonnabend zum ansonsten freundlichen Schlußapplaus auf die Bühne begab. Was er begangen hatte: Er hatte das Textbuch ernster genommen als die Aufführungstradition dieser Oper, in die man gern die Kinder mitnimmt, weil's halt ein Märchen ist. Ein schönes Märchen.

Übles Gelüste

Doch gar so schön geht es nicht zu in der Welt der rachsüchtigen Königin der Nacht, des machtbewußten Sarastro, der ein lüsternes Auge auf die zarte Pamina geworfen hat und sich insofern von seinem dunkelhäutigen Diener Monostatos nicht unterscheidet. Der freilich kriegt für sein übles Gelüste 77 Sohlenstreiche. Ein ziemlich böses Märchen...
Und wie steht es ansonsten mit der Liebe? Da gibt es im zweiten Aufzug fast ausschließlich monologisierende Personen. Ein menschliches Miteinander ist nur dem Buffopaar gestattet: Papageno und Papagena turteln nach Herzenslust. Pamina und Tamino dagegen schweigen sich an, werden recht stumm durch ihre Prüfungen geführt - und wenn sie zum Liebesduett anheben könnten, werden sie vom laut dreinsingenden Sarastro gehindert.
Der Lohn für Taminos Prüfungen, das macht Olaf Brühl in seinem nur auf den ersten Blick befremdlichen Schlußbild klar, ist in erster Linie Macht: Tamino stellt sich mit Herrscherpose an die Rampe, er löst Sarastro ab. Letzterer, nun Priester i. R., hat sich im Hintergrund ein Weilchen niedergelegt. Und die brave Pamina widmet sich erst einmal ihrer von Sarastros Leuten soeben erstochenen Mutter.
Reiner Wiesemes hat zu dieser sehr texttreuen, kompromißlosen Deutung eine abstrakte Bühnenlandschaft gebaut, die Innensicht eines geborstenen Globus, bisweilen mit Himmelskartenprojektionen dem Reich der "sternenflammenden Königin" zugeordnet. Störend nehmen sich in dieser Welt einzig reale Requisiten aus: Bühnenschwerter, -dolche und -lanzen wirken hier merkwürdig naiv.

Zwei Priester im 3/4-Takt

Übrigens sieht Brühl Mozarts Oper keineswegs verbissen. Er läßt ausgerechnet Tamino sich über den ersten Auftritt von Papagena vor Lachen ausschütten und zwingt ihn unvermittelt zurück in seine edle Schweigerpose. Er läßt die Priester, die soeben noch so ernst-edle Worte gesprochen haben, mit kleinen Tanzschritten abtreten. Schließlich hat Mozart hier einen Dreivierteltakt vorgeschrieben...
Das Braunschweiger Sängerensemble widmet sich seinen Aufgaben mit großer Sorgfalt. Jörg Dürmüller ist ein sehr hell timbrierter, stimmlich etwas unflexibler Tamino, Dorothee Tsalos eine zarte, anrührend gestaltende Pamina. Ann Liebeck als Königin der Nacht hat Mühe mit den Spitzentönen, dem Baß von Martin Blasius fehlt es zum Sarastro noch ein bißchen an Schwärze.
Dafür nimmt Peter Bording als Papageno die Herzen der Zuschauer im Sturm - sowohl mit seinem angenehm unklamaukigen Spiel als auch mit seinem warmen, schönen Stimmklang. Jari Hämäläinen am Dirigentenpult führt Orchester und Sänger mit viel Schwung und Feuer.
Diese bemerkenswerte Interpretation ist ein wenig sperrig, nicht leicht eingängig. Sie wird es möglicherweise im Spielplan nicht leicht haben. Aber die Auseinandersetzung lohnt sich.

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Feuer- und Wasserprobe
Foto: Thomas Ammerpohl

orpheus / Mai 1997
GEMISCHTE EINDRÜCKE
Von Joachim Lange

Ganz am Ende gelingt Regisseur OLAF BRÜHL in seiner ZAUBERFLÖTE eine dichte Bildlösung: Wenn die Prüflinge Pamina und Tamino durch eine Menschengruppe schreiten, fallen einige Personen um und werden von den beiden in die Spalten der von REINER WIESEMES gebauten, im Halbrund ansteigenden Wüsten- oder Mondlandschaft gestoßen. Sarastro übergibt seine Macht an Tamino, weil dieser im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehende Typ nun paßt. Absolvierte Anpassungsrituale an eine Gesellschaft, die nicht hinterfragt werden darf, sichern deren Kontinuität. ( ... )

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Papageno ruft vergebens
Foto: Thomas Ammerpohl

BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG / Feuilleton, 10.Februar 1997
WAHRHEITSSUCHE AUF EINEM ANDEREN STERN
Von Rolf Heckelsbruch


Wie viele kluge Denker haben Mozarts und Schikaneders "Zauberflöte" zu ergründen versucht? Wie viele Deuter haben sich ans Werk gemacht, die Oper inszenatorisch zu entschlüsseln? Als heiteres Volksstück, als symbolbefrachtete Weisheitslehre, als Kampf von Nacht und Licht, von Gut und Böse. Begegnung von kreaturlichem Leben und hochgesinntem Edelmut. Das Rätsel bleibt, weil alle diese Attribute in ihr versammelt sind, so wie Mozart das wunderbar Einfache mit dem dramatisch Hochvirtuosen, die schlichte Harmonie mit der "gelahrten" Fugentechnik verbunden hat.
Und auch das vermeintlich Gute (Sarastros Begierde auf Pamina ist unübersehbar) und das Böse (Königin der Nacht) lassen hier sich nicht fein säuberlich trennen. Denn wenn am Ende, wie jetzt in Braunschweigs Neuinszenierung der "Zauberflöte" durch Olaf Brühl, die "sternflammende Königin" und ihr lanzenbewehrtes Amazonen-Fähnlein von der Priestergarde niedergemacht worden sind, beugt sich in dem die "Strahlen der Sonne" begrüßenden Jubelchor doch wenigstens Pamina trauernd über ihre tote Mutter. Und während von oben Sarastro - der hünenhafte Martin Blasius gibt ihn mit in sich ruhender Würde und einer auch in den tiefsten Lagen noch kraftvollen Stimme - in einer Pose wie Michelangelos Gottvater auf die weihevolle Szene schaut, sitzt vorn auf einem Schemel, nun im grauen Frack der "Eingeweihten", der jugendliche Held Tamino. Desillusioniert? Zumindest doch so teilnahmslos, als gingen ihn der Geliebten Trauer und der Priester Jubel nichts mehr an. Fast wie ein Mensch von einem anderen Stern.

Öd und leer ist diese Welt

Und auf einem anderen Stern scheint ja diese "Zauberflöte" zu spielen. Nacht und Nebel hüllen die unsichtbare Schlangentötung durch die drei famosen Damen (Brigitte Wohlfahrt, Michelle Breedt, Shauna Elin) ein. Und erst allmählich schält sich daraus so etwas wie Landschaft hervor. Doch die ist so öd und leer wie die Welt am ersten Schöpfungstag. Wie zu einer parabolformigen roten Mars-Arena geformt liegen da im Bild von Reiner Wiesemes flache Felsschollen, die sich (Auftritt Königin der Nacht) auch zu einem feurigen Schlund öffnen können. Ein Bild, einfach, doch wirkungsvoll, das sich vielschichtig verändern läßt und in der phantasievollen Lichtführung (Wolfgang Will) teils bizarr-phantastische, teils auch mystische Dimensionen erhält, wenn Felsen und Menschen optisch eine alte astrologische Sternenkarte umgibt.

Überflüssige "Buh"-Rufe

Ob sich Im Schlußbeifall die "Buh"-Rufe nun gegen das Bild oder die Regie richteten, bleibt offen, weil sich Bühnen- und Kostümbildner Wiesemes im Gegensalz zu Regisseur Olaf Brühl nicht zeigte. "Buh"-Rufe, die so überflüssig wie ein Kropf waren, denn insgesamt wußte Brühl diese "Zauberflöte" interessant, kurzweilig und doch nicht oberflächlich zu erzählen.
Papagenos pfiffige Lebenslust, Taminos hochgestimmter Idealismus und das priesterliche Pathos der Weisheitslehrer hielten einander die Balance. Es gab ein paar Ungereimtheiten. Wenn Tamino links aus der schwartigen Schlangenhöhle wankt (rückwärts, Achtung: Stolpergefahr), später über das unsichtbare tote Monster rechts ortet, leuchtet das nicht ein. Es gab einige Steifheiten (Tamino, Pamina) in der Personenregie. Aber doch viel mehr Witz, vor allem auch durch das natürlich lebendige Spiel von Peter Bording, ein gutgebauter Bilderbuch-Papageno, mit einer herrlich runden, vollen Slimme. Und auch an Poesie mangelte es dieser Inszenierung nicht. Beispielswelse die Szene der tanzenden Tiere (hübsch wischt sich das Krokodil seine Tränen) oder das Bankett der Eingeweihten auf schiefer Ebene und vor allem die fackelleuchtende Prüfungsszene. Das überzeugte. ( ... )

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3 Knaben retten Pamina
Foto: Thomas Ammerpohl

logo - Rundfunksendung NDR 4, 10.Februar 1997

Sprecherin: Das Braunschweiger Publikum stutzte bei der letzten Szene. Da wird die Königin der Nacht von den Männern Sarastros, des Herrschers des Sonnenreichs, umgebracht. Das Liebespaar Tamino und Pamina sieht sich noch nicht einmal an. Die Stimmung ist etwas bedrückend. Untypisch für eine Inszenierung der Zauberflöte. Der Regisseur Olaf Brühl hat die Szene bewußt anders gestaltet.

Olaf Brühl: Natürlich erwarten die Menschen am Schluß ein freudiges Tableau, festliche Stimmung. Das war für mich einfach 1997 nicht inszenierbar, weil diese Zukunftsutopie, die Mozart dort vielleicht - allerdings auch sehr abrupt ! (Der Jubel dort geht über Leichen: Pamina muß über die ihrer Mutter steigen) - auftreten läßt, die kann ich jetzt 200 Jahre später nur noch sehr schwer nachvollziehen - also die Vision schon, aber was ist jetzt 200 Jahre lang aus der Zauberflöte geworden? - und mit all diesen Gedanken und Idealen? - und am Ende dieses Jahrtausends, was da in unserer Gesellschaft jetzt geschieht, läßt nicht sehr viel Hoffnungsfreude zu. Das alles muß sich für mich in einer Aufführung spiegeln. Wenn sie nicht einfach nur ein kitschiger Wunschtraum sein soll, sondern den Menschen sagen soll, was sie betrifft.

Sprecherin: Die Inszenierung des 40jährigen Gothaers ist aber nicht vordergründig politisierend. Die Gesellschaftskritik macht sich nur sehr subtil bemerkbar, zum Beispiel in der Interpretation der Rolle der Königin.

Olaf Brühl: Die Königin ist für mich ja auch nicht jetzt einfach die negative, hysterische Ziege, als die sie meistens dargestellt wird. Also ich habe versucht zu zeigen, daß sie um ihr Menschsein kämpft, daß sie keine Chance hat gegen den Rationalismus der Herren. Und dieses Herrenmenschentum wird sie dann am Schluß ja wirklich "zernichten" - und das sieht sie voraus. Wenn die Königin den Sonnenkreis zurückhaben möchte, weiß man ja nicht, was sie damit tun würde. Vielleicht möchte sie ihn nur wieder ruhig stellen. Aber was die Männer mit dem Sonnenkreis tun, das weiß man spätestens seit Hiroshima.

Sprecherin: Für Brühl ist die Zauberflöte keine Märchenoper. Zwar benutzt sie, wie jedes gute Theaterstück, phantasievolle Elemente, aber wichtiger sind dem Regisseur die menschlichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen, die Mozart und sein Librettist Schikaneder, in dem Stück behandelt haben. Olaf Brühl war jahrelang Meisterschüler der Choreographin und Regisseurin Ruth Berghaus.

Olaf Brühl: Natürlich hat dann die Berghaus einen noch weiter geschärft in der Richtung. Also darauf zu achten, daß man die Konflikte herausarbeitet zwischen den Figuren - und ich finde, dann wird eine Aufführung einfach auch ein bißchen spannender, als wenn das alles so ein Einheitsbrei ist.

Sprecherin: Das ist die Braunschweiger Aufführung wirklich nicht. -
Der Niederländer Peter Bording singt den Papageno. Er spielt ihn sehr intensiv und körperbetont. Mit einem Lendenschurz bekleidet, wirkt er sehr sexy.

Peter Bording: Wir haben versucht, da etwas vom Naturmenschen - nicht so ein lustiger Naturbursch, wie das halt so üblich ist - aber von allem etwas mitzugeben: Tarzan, Indianer, Aboriginal. Und diese Weisheit von Papageno, bin ich überzeugt, ist in einem Stein, ist in den Bergen, ist in den Büschen, in den Blumen - da ist seine Weisheit.

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Finale II
Foto: Thomas Ammerpohl


olaf brühl